Wird PCOS durch Stress verursacht?

Das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) gilt als eine der häufigsten endokrinologischen Störungen bei Frauen im gebärfähigen Alter. Während aktuelle medizinische Leitlinien traditionell genetische und metabolische Faktoren betonen, wird zunehmend der Einfluss von Stress auf die Entwicklung und Verschlimmerung des PCOS diskutiert. Neuere Studienergebnisse rücken Stress als möglichen Schlüsselmechanismus in den Vordergrund, der allen grundlegenden pathophysiologischen Prozessen des PCOS zugrunde liegen könnte. Diese Hypothese stützt sich auf umfangreiche Studien zu systemischen und zentralnervösen Veränderungen beim PCOS, die auf eine tiefgreifende Beziehung zwischen Stress, zentralem Nervensystem (ZNS) und hormoneller Dysregulation hindeuten. Könnte es sein, dass Stress nicht nur ein begleitender Faktor, sondern vielleicht der entscheidende Auslöser des PCOS ist? Ist es denkbar, dass der chronische Stress, dem viele Frauen heute ausgesetzt sind, eine wesentliche Rolle bei der Entstehung dieser Erkrankung spielt?

Eine Frau in Berufskleidung spricht auf einer Bühne in ein Mikrofon, während hinter ihr eine Präsentation läuft.

Written by

Lisa Emmer, MD

Überschrift 'Wird PCOS durch Stress verursacht?' hinterfragt die Rolle von chronischem Stress als potenziellen Auslöser für Polyzystisches Ovarialsyndrom (PCOS).

Stress als möglicher Auslöser: Ein neuroendokrines Rätsel?

Eine der am meisten diskutierten Hypothesen in der neueren Forschungsliteratur ist der Zusammenhang zwischen Stress und der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse). Bei Stress wird die HPA-Achse aktiviert, was zu einer erhöhten Ausschüttung von Cortisol und anderen Stresshormonen führt. Diese Hormone können weitreichende Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem und den gesamten Stoffwechsel haben. An dieser Stelle kommt die Frage nach der Rolle von Stress bei der Entstehung des PCOS ins Spiel.

Die neue Studie "Polycystic Ovary Syndrome Pathophysiology: Integrating Systemic, CNS, and Circadian Processes" unterstreicht die Bedeutung systemischer, zentralnervöser und zirkadianer Prozesse, die alle eine Rolle bei der Entstehung des PCOS spielen können.

Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) spielt eine zentrale Rolle bei der Stressbewältigung im Körper. Studien zeigen, dass Frauen mit PCOS eine erhöhte Aktivierung der HPA-Achse aufweisen, was zu einer erhöhten Cortisolproduktion führt, insbesondere während der Cortisol-Aufwachreaktion (CAR) am Morgen.

Die HPA-Achse und das Aufwachen mit erhöhten Cortisolspiegeln können verschiedene Körperzellen und Gehirnstrukturen beeinflussen. Diese Stressreaktion kann möglicherweise die Funktion des Hypothalamus verändern, einer Hirnregion, die grundlegende Lebensfunktionen wie Appetit, Durst, Aggression, Sexualtrieb und Hormonproduktion reguliert. Dies könnte erklären, warum Frauen mit PCOS häufig über Stimmungsschwankungen, Depressionen und Angstzustände berichten.

Es könnte auch erklären, wie der durch chronischen Stress verursachte Überschuss an Cortisol und anderen Stresshormonen zu einer Überstimulation der Androgenproduktion in den Eierstöcken führt. Diese erhöhte Androgenproduktion ist ein bekanntes Merkmal des PCOS und könnte erklären, warum einige Frauen, die chronischem Stress ausgesetzt sind, anfällig für die Entwicklung dieser Krankheit sind.

Frau hält sich den unteren Rücken, möglicherweise wegen PCOS-bedingter Schmerzen. Die Rolle von Stress bei der Entstehung und Verschlimmerung von PCOS wird zunehmend in der medizinischen Forschung untersucht.

Die Rolle von Melatonin und des zirkadianen Rhythmus

Neben der HPA-Achse bringt die Studie auch zirkadiane Prozesse ins Spiel. Stress und gestörter Schlaf gehen oft Hand in Hand. Denn das "Schlafhormon" Melatonin spielt auch beim PCOS eine wichtige Rolle. Es konnte gezeigt werden, dass Frauen mit PCOS häufig niedrigere Melatoninspiegel aufweisen, was zu einem gestörten zirkadianen Rhythmus führt. Melatonin hat aber auch eine stressregulierende Funktion: Es kann verhindern, dass die Rezeptoren für das Stresshormon Cortisol (Glucocorticoidrezeptor GR) exprimiert werden, so dass die Stressreaktion auch bei erhöhten Cortisolspiegeln nicht so stark ausfällt.

Was passiert aber, wenn Melatonin gehemmt wird, etwa durch einen gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus aufgrund von Schlafstörungen oder unregelmäßigen Arbeitszeiten, wie sie bei Frauen mit PCOS häufig vorkommen? Ein gesunder zirkadianer Rhythmus ist entscheidend für die Freisetzung von Hormonen wie Melatonin und Cortisol. Störungen dieses Rhythmus können zur Fehlregulation vieler hormoneller Prozesse beitragen, einschließlich solcher, die das Fortpflanzungssystem betreffen.

Eine gestörte zirkadiane Regulation der Melatoninsekretion kann zu einer erhöhten Androgenproduktion und Insulinresistenz führen - beides Schlüsselfaktoren für die Entwicklung des PCOS. Außerdem fällt das schützende "Verstecken" der Cortisolrezeptoren durch Melatonin weg, was die Stressreaktion des Körpers verstärkt und das Risiko für chronische Entzündungen und andere stressbedingte Erkrankungen erhöht.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Mikrobiom im Darm. Studien zeigen, dass Frauen mit PCOS häufig eine Dysbiose aufweisen, ein Ungleichgewicht der Darmbakterien, das zu einer erhöhten Darmdurchlässigkeit führt. Dieser "leaky gut"-Zustand kann Entzündungen im gesamten Körper verstärken und die Stressreaktion noch verschlimmern. Darüber hinaus wird vermutet, dass auch ein Mangel an Darmbutyrat, einer kurzkettigen Fettsäure, die von bestimmten Darmbakterien produziert wird, eine Rolle spielt. Butyrat hat entzündungshemmende Eigenschaften und könnte die Stressreaktion beeinflussen, indem es die Melatoninsynthese im Darm beeinflusst.

Die Genetik: ein unentbehrlicher Faktor

Die genetische Veranlagung für PCOS darf nicht ignoriert werden, doch das Zusammenspiel zwischen Genetik und Umweltfaktoren, einschließlich Stress, ist komplex. Genetische Faktoren bestimmen sicherlich, wer anfälliger für die Entwicklung von PCOS ist, aber Stress könnte das Zünglein an der Waage sein, das darüber entscheidet, ob eine Frau mit einer genetischen Veranlagung tatsächlich Symptome entwickelt. Dies führt zu einer weiteren kontroversen Debatte: Ist PCOS ein genetisches Schicksal oder kann ein stressfreier Lebensstil die Entwicklung verhindern oder zumindest verzögern?

Notizbuch und Stift in der Hand einer Person, die sich mit den Auswirkungen von Stress auf PCOS beschäftigt. Notizen machen kann helfen, stressbedingte Auslöser für PCOS zu identifizieren.

Kontroverses Thema: Was ist Ursache, was ist Wirkung?

Aktuelle Forschungsergebnisse legen nahe, dass der Zusammenhang zwischen PCOS und Stress weitaus komplexer ist als bisher angenommen. Stress kann sowohl Folge als auch Ursache des PCOS sein. Die erhöhte Aktivität der HPA-Achse und die damit verbundene erhöhte Cortisolproduktion könnte nicht nur als Reaktion auf die körperlichen Symptome des PCOS verstanden werden, sondern auch als ein Faktor, der zur Verschlechterung dieser Symptome beiträgt.

Das Zusammenspiel von Stress, Schlaf, Darmgesundheit und Hormonhaushalt stellt ein komplexes Netzwerk dar, das weiter erforscht werden muss. Es bleibt unklar, ob die Behandlung von Stress allein ausreicht, um die Symptome des PCOS zu lindern, oder ob ein integrativer Ansatz, der den zirkadianen Rhythmus, die Darmgesundheit und die psychische Gesundheit gleichermaßen berücksichtigt, die beste Lösung darstellt.

Fun Fact

Wusstest du, dass Stress nicht nur hormonelle Ungleichgewichte verstärken kann, sondern auch die Struktur und Funktion des Gehirns beeinflusst? Eine interessante Studie zeigte, dass chronischer Stress das Volumen des Hippocampus, der Gehirnregion, die für das Gedächtnis und die Emotionen zuständig ist, verringern kann. Bei Frauen mit PCOS wurden oft Veränderungen in dieser Gehirnregion festgestellt, was darauf hindeutet, dass Stress und PCOS möglicherweise in einem komplexen Wechselspiel stehen, das weit über hormonelle Störungen hinausgeht. Stress könnte also nicht nur die Symptome von PCOS verschlimmern, sondern auch die Gehirnstruktur und -funktion verändern.

Fazit: Umdenken ist gefragt

Es ist an der Zeit, die klassische Sichtweise des PCOS zu überdenken. Stress könnte ein entscheidender Player im Krankheitsgeschehen sein, der sowohl die Symptome verstärken als auch durch eigene Mechanismen zur Entstehung des PCOS beitragen kann. Ein ganzheitlicher Ansatz, der sowohl hormonelle als auch psychische und systemische Aspekte berücksichtigt, könnte der Schlüssel zu einer effektiveren Behandlung sein.

Was meinst du?

Die Diskussion über PCOS und Stress ist noch lange nicht abgeschlossen. Glaubst du, dass chronischer Stress einen größeren Einfluss auf die Gesundheit hat, als wir bisher angenommen haben?

Bleib dran für weitere spannende Einblicke in die Welt der Frauengesundheit!

Du hast weitere Fragen zu diesem Thema? Dann buche gerne einen Hormonic Care Termin.

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